Die Macht der Clans - Interview mit dem schweizer Rundfunksender DRS 4 News
von Mathias Weber
Rundfunkbeitrag vom Montag, 20.08.2012, 06.47 Uhr in der Sendung DRS4 aktuell. Interview mit dem Somalia-Experten Abdirizak Sheikh: "In Somalia läuft heute die Zeit der Übergangsregierung ab und nun geht es darum, eine neue Verfassung auf die Beine zu stellen und einen neuen Präsidenten zu wählen. Doch die großen Clans, die Somalia seit Jahrzehnten beherrschen, machen dieses Unterfangen sehr schwierig, denn sie sind untereinander stark zerstritten. Abdirizak Sheikh ist in Somalia aufgewachsen und arbeitet heute als Politologe und Journalist. Lorenzo Gnati hat ihn nach der Rolle dieser Clans gefragt, im Prozess der Regierungsbildung."
Abdirizak Sheikh: Diese Clans, die jetzt seit so vielen Jahren das Land in eine schwierige Situation gebracht haben, spielen eine sehr große Rolle. Ohne diese somalischen Clans kann in Somalia keine Regierung gebildet werden, das ist das Erste.
Das Zweite ist: Wenn man eine Regierung in Somalia bildet und dabei einen bestimmten der vier großen Clans vernachlässigt, wird dort keine stabile Regierung zu Stande kommen. Das ist das Problem in Somalia.
Lorenzo Gnati: Denken Sie, dass diese Clans sich nun zusammenraufen werden und mithelfen, eine neue Regierung zu bilden?
Abdirizak Sheikh: Dazu haben sie sich ja verpflichtet. Als vor acht Jahren in Kenia die erste Regierung gebildet wurde, hat man sich zusammengesetzt und wollte alles vergessen, was bisher passiert ist. Man wollte verhandeln und eine Regierung bilden. Dies hat acht Jahre gedauert und Sie sehen ja: nach acht Jahren der Übergangsregierung will man in Somalia nun eine Regierung bilden und Probleme, wie z.B. die Clanzugehörigkeit, kommen auf. Viele Clans fühlen sich dann auch benachteiligt. Diese streiten sich, wer der Präsident und wer der Premierminister werden soll. Dabei gibt es dann das Problem, dass wir nie vorankommen; man geht einen Schritt vorwärts und zwei zurück, das ist unser Schicksal.
Lorenzo Gnati: Also die Clans haben sich dazu verpflichtet, bei einer neuen Regierung mitzumachen, dies haben sie ja angesprochen, aber die Chancen, dass sie dieser Verpflichtung nachkommen, schätzen Sie nicht als sehr groß ein.
Abdirizak Sheikh: Nein, weil einige, die schon vorher bei der UNO-Vertretung zugesagt haben, etwas zu machen, jetzt nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen. Sie fühlen sich auch dort benachteiligt. Auf der anderen Seite sind nach Somalia seit 2009 so viele internationale Streitkräfte vor allem aus der Afrikanischen Union gesendet worden, z.B. von Uganda, Äthiopien und Kenia. Das sind mehrere Soldaten, die seit einiger Zeit dort ihre Dienste leisten. So gibt es nicht mehr diese Warlords, die damals die Bevölkerung schikaniert, getötet, umgebracht und gefoltert haben. Diese werden dadurch keine so großen Chancen mehr haben wie vor 2009.
Lorenzo Gnati: Herr Sheikh, Sie sind in Somalia angesichts dieser Herausforderungen aufgewachsen. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie Somalia jemals wieder zur Ruhe kommen kann?
Abdirizak Sheikh: Somalia kann meiner Meinung nach nur zur Ruhe kommen, wenn die Somalis mit diesem Clandenken aufhören. Wenn Sie diese Verfassung ganz genau unter die Lupe nehmen, können Sie sehen, dass die vier großen Clans die meiste Macht bekommen sollen. Die Minderheiten in der Verfassung also benachteiligt werden. Die Minderheiten, die in Somalia leben, haben somit kein Recht. Solange die Somalis sie nicht als gleichberechtigt betrachten, wird es nie eine Regierung geben. 1960 wurde Somalia unabhängig und seit 1960 hat Somalia diese Clanproblematik inne.
Man fragt in Somalia auch nicht nach den Qualifikationen, wenn man sich für eine Stelle bewirbt – das gilt auch für die Regierung –, sondern man fragt: „Zu welchem Clan gehören Sie?“
Wenn Sie in Somalia eine Stelle haben wollen, spielen Ihre Qualifikationen keine Rolle. Das wichtigste ist die Clanzugehörigkeit. Dementsprechend werden Sie dann eingestellt. Solange diese Ungerechtigkeit in Somalia herrscht, wird es dort keine Ruhe geben, weil sich jeder gegenüber diesen Herrschern benachteiligt und diskriminiert fühlt. Das ist wirklich der Grund, warum ich momentan schwarz für Somalia sehe.
Quelle und Originalinterview zum Anhören:
http://www.drs4news.ch/www/de/drs4/sendungen/drs-4-aktuell/5728.sh10237712.html