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Interview mit Detektor FM vom 28.07.2011

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„Krisensituation in Somalia“

Detektor FM: „Seit einigen Wochen wird die Lage für Millionen Menschen in Somalia immer bedrohlicher. Sie fliehen vor der Dürre in angrenzende Länder, wo sie von Hilfsorganisationen in Flüchtlingslagern versorgt werden. Der UNO-Sondergipfel in Rom hat erst kürzlich eine Aufstockung der Hilfsgüter beschlossen, doch deren Lieferung ist nicht abgesichert. Ganz im Gegenteil: In Somalia herrscht seit Anfang der 90er Jahre ein Bürgerkrieg zwischen den einzelnen Clans, die es im Land gibt. Warum werden die Helfer teilweise nicht ins Land gelassen, wenn die Bevölkerung doch am verhungern ist? Wie konnte sich die Lage in Somalia so zuspitzen? Das sind Fragen, die wir jetzt dem Politologen Mathias Weber stellen. Er hat sich in seinem Buch "Kein Frieden für Somalia?" mit den gesellschaftlichen Strukturen im Land intensiv auseinander gesetzt. Einen schönen guten Tag, Herr Weber.“

Mathias Weber: „Guten Tag.“

Detektor FM: „Die meisten Somalier gehören zur selben Ethnie, das heißt sie sprechen dieselbe Sprache, teilen dieselbe Religion, den Islam. Normalerweise ist das eine gute Voraussetzung für innerstaatlichen Frieden. Warum ist es in diesem Fall für Somalia so schwierig?“

Mathias Weber: „Die somalische Clan-Gesellschaft fühlt sich nicht gegenüber dem Staat verpflichtet sondern immer gegenüber ihrem eigenen Clan. Dies ist auch historisch bedingt. In Somalia leben viele Nomaden und für Nomaden ist es überlebenswichtig, dass man sich innerhalb der Familie unterstützt und man gegen Feinde kämpft. Es gab auch Kämpfe um Wasserstellen, um die Wasserversorgung für die eigenen Tiere zu garantieren. Von daher ist die ganze somalische Gesellschaft historisch gesehen eine Clan-Gesellschaft.“

Detektor FM: „Worin liegt aber das Interesse dieser Clans oder deren Führer wenn sie sehen, dass sehr große Not in der Bevölkerung herrscht. Die Clans müssten doch selbst betroffen sein. Was veranlasst sie, nichts zu tun oder teilweise sogar Hilfe von Außen zu verhindern?“

Mathias Weber: „Es geht einfach um Macht und Geld, denn jeder Clan möchte für sich Macht beanspruchen und möchte seine Familie versorgen. Es geht nicht darum, dass man als Somali ans Volk denkt, sondern in erster Linie darum, dass man seinen Clan versorgt.“

Detektor FM: „Kann denn die somalische Regierung dem in irgendeiner Form entgegenwirken? Gibt es da Bewegungen oder ist es ein hoffnungsloser Fall?“

Mathias Weber: „Das Problem ist, dass es schon seit zwanzig Jahren immer wieder dutzende von Friedenskonferenzen gibt und diese nie etwas erreicht haben. Man hat auch versucht verschiedene Clans gemeinsam zu integrieren und an der Macht zu beteiligen, aber es kam immer wieder zum Streit und am Ende haben die Clans immer wieder gegeneinander gekämpft.“

Detektor FM: „Jetzt sind in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gerade wieder schwere Kämpfe ausgebrochen, in die islamistische Milizen auch involviert sind. Kann man denn sagen, dass die Regierung irgendwie Einfluss hat auf die Lage oder ist die Lage außer Kontrolle?“

Mathias Weber: „Ich würde sagen, dass die Regierung keinen großen Einfluss hat. Die Übergangsregierung, die auch vom Ausland unterstützt wird, hat nur einen kleinen Bereich in Mogadischu unter Kontrolle. Und das auch nur, weil sie von Soldaten der afrikanischen Union geschützt werden. Die Übergangsregierung hat keine Chance das ganze Land zu befrieden..“

Detektor FM: „Nun muss man tatsächlich sagen, dass die Situation für die normale Bevölkerung sehr dramatisch ist. Es ist die schwerste Dürre seit sechzig Jahren in der Region. Aber die Hilfswerke versuchen dort mit Nahrungsmitteln, Wasser und ähnlichem etwas zu tun. Für die Helfer ist die Situation extrem gefährlich, da sie bedroht und zum Teil exekutiert werden. Man hört da ja wirklich besorgniserregende Dinge. Jetzt wird die Versorgung über eine Luftbrücke zu regeln versucht. Das erste Flugzeug mit Nahrungsmitteln ist am Mittwoch in Mogadischu gelandet. Gibt es denn Ansprechpartner im Land für Hilfsorganisationen, an die die Helfer sich wenden können?“

Mathias Weber: „Ja das ist sehr, sehr schwer. Das Problem bei der Hilfe ist, dass sie immer zu spät kommt. Diese Hungerkatastrophe hatte sich ja schon im Januar abgezeichnet. Das Problem ist, dass die UNO sehr kurzfristig reagiert und Fehler macht. Man muss mit den Ansprechpartnern vor Ort langfristig Kontakte aufbauen und die Hilfe sichern. Das Problem in Süd-Somalia ist vor allem, dass dort überwiegend die Al Shabaab herrscht. Die Al Shabaab sehen die ausländischen Helfer aus den christlichen Staaten als Ungläubige und Gegner an. Das bedeutet, dass sie versuchen, die Helfer zu bekämpfen und verhindern möchte, dass ausländische Helfer ins Land kommen und vor Ort helfen.“

Detektor FM: „Was hätte man denn anders machen müssen, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft, bzw. wie hätte die UNO besser vorgehen können?“

Mathias Weber: „Das Problem in Somalia ist seit zwanzig Jahren bekannt. Somalia ist sehr groß und nicht alle Gebiete werden ständig umkämpft. Man hätte also friedliche Gebiete, wie zum Beispiel in Nord-Somalia oder im Puntland unterstützen und vor Ort den Menschen helfen müssen, sodass sie eine Lebensperspektive bekommen und etwa auch Hilfe, um Felder zu bestellen oder Brunnen zu bohren. Das alles ist eine langfristige Hilfe, die man vor Ort leisten muss. Außerdem kann man in nicht völlig umkämpften Gebieten örtliche Helfer unterstützen und mit Somalis zusammenarbeiten, die auch vor Ort tätig sind und beispielsweise Krankenhäuser aufbauen. Es gibt etwa ein Krankenhaus in Mogadischu, wo Somalis aus eigener Intention freiwillig, ohne Geld arbeiten und helfen. Und solche Somalis vor Ort, die sich engagieren, die ohne Geld helfen, muss man unterstützen und versorgen.“

Detektor FM: „Tatsächlich ist die erste Priorität die schnelle Versorgung der Flüchtlinge mit Wasser, Nahrung, usw. Im Moment sind schon mehr als 700.000 Menschen aus Somalia zum Beispiel in die Nachbarländer nach Kenia und Äthiopien aufgebrochen, um der Dürre und den Unruhen zu entkommen. Wie schätzen Sie auf längere Sicht die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr der Flüchtlinge ein, bzw. glauben Sie, dass die Flüchtlinge jemals in ihr Heimatland zurückkehren werden?“

Mathias Weber: „Das ist sehr unwahrscheinlich. Die Flüchtlingslager bestehen schon seit zwanzig Jahren und viele Flüchtlinge, die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten zu diesen Flüchtlingslagern kamen, kehrten nicht in ihre Heimat zurück. Das Problem ist nicht allein die Dürre und der Hunger, sondern dass die Bevölkerung auch von den islamistischen Milizen verfolgt und unterdrückt werden. Somit ist die Lage in den Flüchtlingslagern auf jeden Fall besser als die Lage in Somalia. Und die Flüchtlinge haben dann wenigstens die Möglichkeit, mit Wasser und Essen versorgt zu werden und sind nicht hilflos den islamistischen Milizen ausgeliefert. Das ist auch das Problem, was Kenia hat. Der kenianische Staat möchte eigentlich verhindern, dass die Somalis in Kenia bleiben und hat deswegen ein anderes Flüchtlingslager, was bereits erbaut wurde, noch gar nicht geöffnet, weil er verhindern möchten, dass die Flüchtlinge aus Somalia in Kenia bleiben.“

Detektor FM: „Mit Mathias Weber haben wir über die politisch komplizierte Lage in Somalia gesprochen, die die internationale Hilfe zur Versorgung der hungernden Bevölkerung dort extrem erschwert. Mathias Weber ist Politologe und Ost-Afrika Experte. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.“


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