„Which part of the world do you come from?“, werde ich gefragt, als sei ich nicht von dieser Welt.
„Germany.“
„Genitalverstümmelung“, höre ich eine deutsche Stimme sagen.
Ich verstehe immer noch nichts, obwohl ich die deutsche Sprache beherrsche. Ich bin verwirrt. Verstört schaue ich drein und setze den Fuß erneut zum Weitergehen an.
„Komm setz dich, wir erklären es dir“, werde ich nun wieder auf englisch in die Damengesellschaft aufgenommen.
Ich nehme verlegen auf einem mir zugewiesenen Sessel Platz, und alle reden auf mich ein: „Die Mädchen hier in Somalia werden mit sechs, sieben Jahren beschnitten. Das ist eine Ungeheuerlichkeit!“
Ich werde wohl schweigend den Eindruck vermittelt haben, noch immer nicht zu begreifen, worum es hier geht. So klären die Damen mich „greenhorn“ auf: „Mädchen gelten als unrein, wenn sie nicht beschnitten sind, und wertlos auf dem Heiratsmarkt“, führen sie mich schonend in das heikle Thema ein, „das ist hier schon seit Generationen so. Sie werden von Beschneiderinnen verstümmelt, um als Jungfrau in die Ehe zu gehen.“
„Hier in Somalia ist es besonders grausam“, höre ich erneut eine deutsche Stimme sagen, „hier wird die pharaonische Beschneidung durchgeführt.“
Ich stelle mich nicht dumm, ich bin überfordert. Die Dame stellt sich mir als Schweizerin vor und erklärt es mir auf hochdeutsch, nachdem sie sich von den anderen Damen augenzwinkernd deren Zustimmung eingeholt hatte, den Sexualkundeunterricht in einer ihnen fremden Sprache fortzusetzen: „In dunklen Hütten werden den Mädchen unter unhygienischen Verhältnissen mit einem scharfen Messer die Klitoris und die kleinen Schamlippen aufgeschnitten. Die großen Schamlippen werden ausgeschabt und manchmal wird auch Gewebe aus der Vagina entfernt. Dann wird die Öffnung zugenäht. Mit Dornen des Akazienbaumes werden Löcher in die Haut gestochen, durch die wird fester Zwirn gezogen und zusammengebunden. Bis nur noch eine kleine Öffnung bleibt, so groß wie ein Streichholzkopf...“
Die übrigen Damen verstehen kein deutsches Wort, doch wissen sie an meiner stummen Reaktion zu deuten, dass mich der Tathergangsbericht tief ins Mark getroffen hat. Ich muss würgen.
„How cute! Look, how confused he is! And how he blushes with shame!“
Die Schamesröte muss mir in den Kopf gestiegen sein. Schmerzverzerrt ist mein Gesicht. Die Lippen schürzen sich vor Ekel und Entsetzen. Die Damen blicken mich aus einem Gemütsgemisch aus mütterlichem Mitleid und unerbittlicher Männerverachtung an. Die Schweizerin erkennt die verfängliche Lage des dieser Häme ausgesetzten Unschuldlamms. Sie legt tröstend ihre Hand an meine Wange und spricht verständnisvoll auf mich ein: „Das ist wohl zu viel für dich?“
„Nein“, erwidere ich mannhaft und muss doch eingestehen: „Nur ich verstehe das nicht. Warum?“
„Wenn du willst, kann ich dir das in aller Ruhe erklären“, ergreift die Schweizerin wieder
das Wort: „Ich fahre morgen nach Jawhar, da ist ein Heiratsmarkt. Ich könnte dich
mitnehmen, wenn du Zeit und Interesse hast. Da kannst du lernen, zu verstehen...“
Ich verstehe diese Einladung als Hinweis zu gehen. Den Fingerzeig nehme ich dankbar
an. Ich nenne ihr meinen Übernachtungsort. Wir verabreden uns für den nächsten Tag,
und ich gehe fort.
(Leicht geänderter Textauszug aus: Nandinda, „Draußen ist Freiheit… Eine deutsche Nachkriegsbiographie“, Deutsche Literaturgesellschaft, Berlin 2009)
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors Dr. Björn Pätzoldt
» weiter zum fünften Teil von „Draußen ist Freiheit…“
« zurück zum dritten Teil